Schlafstörungen und Burnout-Syndrom: Klassische, Phyto- und Orthomolekularmedizin
Im Rahmen des pharmaDavos-Kongresses referierte Dr. med. Philipp K. m. Katumba, Gründer der SIHLMED GmbH mit insgesamt vier Zentren für integrative Medizin, über Schlafstörungen und Burnout, die Dauerbrenner beim Hausarzt und in der Offizin. Dabei konnten die anwesenden Apothekerinnen und Apotheker einige wichtige Inputs für die Beratung in der Apotheke mitnehmen.
Von der Gründung im 2006 ist die SIHLMED GmbH auf insgesamt vier Gemeinschaftspraxen mit über 30.000 registrierten und jährlich ca. 2.000 neuen Patientinnen und Patienten angewachsen. «Was Stress betrifft, bringe ich etwas Selbsterfahrung mit», lässt Katumba einen Einblick zu. «Ich hatte keine Erfahrung in Geschäftsleitung, und dieses Wachstum hat mich überfordert.»
Doch die integrative Medizin, die die evidenzbasierte Schulmedizin mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Komplementärmedizin zu einer Ganzheitsmedizin verbindet, scheint einen Nerv der Zeit zu treffen. «Bei der integrativen Medizin steht besonders die Prävention von Krankheiten und die Salutogenese, d. h. die dynamische Wechselwirkung von der Entstehung und Erhaltung der Gesundheit im Vordergrund», erklärt Katumba sein persönliches und unternehmerisches Therapiekonzept.
Schlafstörungen und Burnout-Syndrom als Dauerbrenner
Der Fokus in seinem gut besuchten Referat sollte in der Folge auf den Themen Schlaf und Burnout liegen sowie den neuen Arzneimitteln und integrativen Behandlungsansätzen in einem Bereich, der sich laut Katumba bestens für eine Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker eignet.
Laut Schweizerischer Gesellschaft für Schlafforschung, Schlafmedizin und Chronobiologie (SGSSC) leiden in der Schweiz etwa 30 Prozent der Bevölkerung an Schlafstörungen, die von gelegentlichen Einschlafschwierigkeiten bis zu chronischen Schlafproblemen reichen können.
Schlafstörungen nehmen mit fortschreitendem Alter zu, ebenso die Einnahme von Beruhigungs- und Schlafmitteln, welche bei Personen ab 75 Jahren einen Höchstwert erreicht (23 %). Die Folgen von Schlafstörungen sind bekannt und vielfältig: Erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, für psychiatrische Erkrankungen, zur Entwicklung einer diabetischen Erkrankung oder einer Demenz, Konzentrationsprobleme, Leistungsabfall sowie Schmerzen und Stress.
Differenzialdiagnose bei Schlafstörungen
Differenzialdiagnostisch seien vor allem das Obstruktive Schlafapnoe-Syndrom und die schlafbezogenen Bewegungsstörungen wie das Restless Legs Syndrom, betonte Katumba. Ein weiteres Phänomen ist die «lokale Wachheit». Dabei gleicht die neurale Aktivität eines Hirnareals im Schlaf jener im Wachzustand, während andere Regionen zeitgleich Schlafaktivität aufweisen. Dieses Phänomen wird als «lokale Wachheit» bezeichnet.
Es zeigt sich oft ein instabiler oder unruhiger REM-Schlaf, in dem vermehrt Gedanken und Ruminationen statt lebhafter Träume auftreten. «Die Konsequenzen einer instabilen REM-Schlaf-Phase sind verminderte Emotionsverarbeitung im REM-Schlaf sowie eine Abnahme der stressadaptiven, psychohygienischen Eigenschaften des Schlafes mit der Folge, dass negative Affekte über den Tag akkumulieren», erläuterte Katumba. Ein interessantes Tool seien übrigens Apps, die die Schlafqualität und die verschiedenen Schlafphasen messen. Diese seien teilweise «erstaunlich gut und für die Selbstdiagnose oder die Diagnostik beim Arzt sehr hilfreich».
Anamnesen, Schlafprotokolle und Algorithmen
Bei der Anamnese ginge es darum, die Schlafgewohnheiten zu erfragen, u. a. den Rhythmus und die Regelmässigkeit des Schlafes und den Tagesschlaf, die Schlafumgebung (Geräusche, Licht, usw.), stressige und belastende Situationen sowie psychiatrische Komorbiditäten wie z. B. eine Depression.
Wenn beispielsweise Patienten mit einer bipolaren Störung in einer manischen Phase ein paar Nächte nicht schlafen, dauert es meist nicht länger als eine bis zwei Wochen, bis sie hospitalisiert werden müssen. «Wenn wir die Schlafstörung bei diesen Patienten früh erkennen, können wir rechtzeitig reagieren und eingreifen, damit es nicht so weit kommen muss», führte Katumba das Beispiel aus.
Internistische Abklärungen seien ebenso wichtig:
- Wie steht es um die Schilddrüsenfunktion?
- Besteht eine Anämie?
- Liegt ein Vitamin-B12- oder ein Eisenmangel vor?
Existieren ferner
- Kopfschmerzen,
- Hypertonie,
- Reflux oder
- Schmerzen, beispielsweise im Rahmen einer rheumatoiden Arthritis,
- eine Schlafapnoe oder
- Menopause-Beschwerden, die zu Schlafstörungen führen?
- Eine Herzinsuffizienz oder ein Lungenödem?
- Liegt ein Substanzkonsum vor (Alkohol, Koffein oder THC)?
«Der THC-Konsum ist ein grosses Problem. Er macht zwar müde, aber die Schlafqualität ist katastrophal», so Katumba. Auch in der Apotheke können mit Betroffenen entsprechende Schlafprotokolle ausgefüllt oder Algorithmen wie derjenige in der S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin durchgearbeitet werden.
Schulmedizin und Phytotherapie
Was die Evidenz der Pharmakotherapie betrifft, so sei klar, dass Benzodiazepine und Z-Drugs gut wirken, jedoch die Schlafqualität beeinträchtigen und rasch abhängig machen können und daher – wenn überhaupt – nur kurzfristig, das heisst weniger als zwei Wochen, eingesetzt werden sollten.
«Wir sind nicht bereit, Benzodiazepin-Rezepte für länger als zwei Wochen auszustellen und arbeiten in diesem Punkt mit den Apotheken zusammen. Lieber gehen wir in die Therapie, auch bei älteren Patientinnen und Patienten», betonte Katumba mit Nachdruck. Dazu gehören die Schlafhygiene, die Verhaltenstherapie und die Psychoedukation.
Bei chronischen Schlafstörungen können auch Schlafentzug bzw. Schlafrestriktion über zwei bis drei Tage eine effektive und nachhaltige Massnahme sein, bei der sich der Schlaf-Wach-Rhythmus «resetten» kann. «Ein weiterer wesentlicher Aspekt zur Behandlung von Schlafstörungen ist das Stressmanagement. «Das Erlernen und die regelmässige Durchführung von Entspannungstechniken können sehr erfolgreich sein. Auch dafür gibt es heutzutage gute Apps».
Die Evidenz für sedierende Antidepressiva sei mittelmässig, ausserdem müssten die zahlreichen unerwünschten Wirkungen berücksichtigt werden. Antihistaminika zeigen ebenfalls eine mittlere Evidenz, aber auch eine relativ rasche Toleranzentwicklung. Vielversprechend sei vielleicht das Melatonin. Es mache allerdings keinen Sinn, dass Melatonin in der Schweiz erst für über 55-Jährige zugelassen sei, denn «eine signifikante Verbesserung des Schlafes zeigt Melatonin bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen», so Katumba.
Natürlich hätten auch Phytotherapeutika einen festen Platz. Sie werden in der Regel gut vertragen und stossen in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz.
Definition des Burnout-Syndroms
Gemäss einer Metaanalyse aus dem Jahr 2022 leiden etwa 18 Prozent der Bevölkerung an emotionaler Erschöpfung und Burnout-Symptomen. Die Prävalenz für ein schweres Burnout liegt bei vier Prozent (1). Die Folgekosten der Burnout-Problematik sind sehr hoch und betragen in der Schweiz 18 Milliarden Franken pro Jahr (2).
Ein Burnout-Syndrom kann am besten als Folgeerscheinung von andauerndem Stress, anhaltender Hektik und zunehmender Kälte in der Arbeitswelt beschrieben werden. So wird als einer der Gründe für die Entwicklung eines Burnouts beispielsweise häufig mangelnde Anerkennung für die erbrachten Leistungen genannt.
Gemäss Definition im internationalen Katalog der Krankheiten ICD-11 umfasst das Burnout-Syndrom folgende drei Dimensionen:
- Emotionale Erschöpfung: Das Gefühl überbeansprucht, ausgelaugt zu sein, keine Energie mehr zu haben und sich nach der Arbeit nicht mehr erholen zu können.
- Innere Abgrenzung und zunehmende geistige Distanz und/oder negative Haltung zum Job: Die Betroffenen distanzieren sich von der Arbeit und den Arbeitskolleginnen und -kollegen, sind nicht mehr voll dabei und wirken abgestumpft. Ein Schutzmechanismus, der einsetzt, um mit der Überlastung fertig zu werden.
- Verminderte berufliche Leistungsfähigkeit: Menschen mit einem Burnout leiden beispielsweise an Konzentrationsstörungen und machen häufiger Fehler.
Aber nicht jeder, der müde, lethargisch und desinteressiert ist, leidet an einem Burnout-Syndrom. Katumba nahm sich das Bild eines Sportwagens und eines alten Citroën 2CV mit gemütlichen 9 PS zu Hilfe: «Ausbrennen können diejenigen, die eine ehrgeizige Persönlichkeit besitzen, viel Power haben und immer Gas geben.»
Bei anderen Menschen sei der Gemütszustand oder die Symptomatik eher nicht einem Burnout-Syndrom, sondern einer anderen Entität zuzuordnen.
Speicheltests als Teil des Diagnose-Puzzles
Zur Diagnose eines Burnout-Syndroms existieren bisher keine einheitlichen Diagnosekriterien. Anhaltspunkte liefern Beschwerden, Anamnese und Laborwerte, darunter auch solche, die Aussagen über die Stressreaktionen des Körpers erlauben.
Während in einer ersten Phase des Burnouts der ganze Organismus in Alarmbereitschaft versetzt wird und die Stresshormone hoch sind, geht dieser Zustand mit der Zeit in eine Widerstandsphase über, in der eine Anpassung der Stresshormone stattfindet. «Die Stresshormone werden weiterhin ausgeschüttet, aber der Organismus reagiert nicht mehr in gleicher Weise darauf. Letztendlich sind dann die Stresshormone so weit ausgeschöpft, dass gar nichts mehr geht», so Katumba.
Er zeigte die Ergebnisse einer mittels selbstständig zu Hause durchgeführten Speicheltests eruierten Cortisolkurve einer jungen Frau, die morgens keinen Anstieg dieses Hormons mehr zeigte. «Der morgendliche Anstieg des Cortisols, der uns die erforderliche Aktivierungsenergie für den Tag liefert und der in der Akutphase überschiessend ausfallen kann, bleibt in der Erschöpfungsphase aus», erklärte Katumba. «Wenn wir dann auch noch die Dopamin-, GABA- und Serotonin-Spiegel bestimmen, können wir gut zwischen einem Burnout und einer Depression differenzieren.» Bei einer Depression wären zum Beispiel die Serotonin-Spiegel tief, die Cortisolkurve würde jedoch normal verlaufen.
Je nach Burnout-Stufe kommen verschiedene Therapieoptionen zum Einsatz. Darunter Psychotherapie u. a. mit Verhaltenstherapie, Körpertherapien wie Yoga und Shiatsu, Sport, Pharmakotherapie je nach Symptomen (Benzos, (sedierende) Antidepressiva, NSAR gegen Schmerzen, usw.), pflanzliche Adaptogene und die orthomolekulare-Therapie sowie das Erlernen von Bewältigungs- und Copingstrategien. Weitere Optionen wären beispielsweise auch eine stationäre Einweisung in eine Burnout-Klinik.
Das Konzept der Adaptogene
Als Adaptogene werden Heilpflanzen bezeichnet, die eine erhöhte Resistenz gegenüber verschiedenen Stressoren physikalischer, chemischer oder biologischer Natur bewirken. Adaptogene haben eine normalisierende Wirkung auf die Physiologie, unabhängig davon, in welche Richtung der Stressor wirkt, beinträchtigen die normalen Funktionen des Organismus jedoch nicht.
Heilpflanzen mit adaptogener Wirkung sind beispielsweise Ginseng (Panaxginseng), Rosenwurz (Rhodiola rosea), Maca-Wurzel («peruanischer Ginseng»), Johanniskraut (Hypericum perforatum), die Schlafbeere (Ashwagandha), oder der jüngst von der Wissenschaft wiederentdeckte Lattich (Lactuca sativa).
Potenzial der Phyto-Ortho-Therapie
Werden Adaptogene mit Elementen der orthomolekularen Medizin wie beispielsweise L-Tryptophan und Magnesium kombiniert, die bekanntermassen an der Regulierung des Schlaf-Wach-Zyklus und des Nervensystems beteiligt sind, können synergistische Effekte entstehen.
Eine solche Viererkombination aus Lattich (Lactuca sativa), Zitronenmelisse (Melissa officinalis), L-Tryptophan und Magnesium befindet sich neu auf dem Markt. «Melisse erhöht die GABA-Konzentration. Der Lattich erhöht die Anzahl der GABAA- und der Serotonin Rezeptoren (5-HT1A). L-Tryptophan erhöht die Serotonin-Konzentration, während Magnesium ein wesentlicher Faktor bei der Serotonin- und Melatonin-Synthese darstellt», erklärte Katumba das Rational hinter dieser Kombination.
In einer Untersuchung (monozentrisch, einarmig, 14-Tage Anwendung, n=50 Teilnehmer) konnte gezeigt werden, dass diese Kombination eine signifikante Verbesserung der allgemeinen Schlafqualität sowie eine Verbesserung des Durchschlafens und des Tiefschlafs bewirkt. Auch die geistige Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden tagsüber verbesserten sich signifikant – ohne den Anschein von unerwünschten Wirkungen oder Gewöhnungseffekten. Und: 70 Prozent der Wirkung wurden bereits innerhalb einer Woche erreicht (3), was für Patienten mit Schlafproblemen sicherlich eine gute Nachricht ist.
- Muaamar Al-Gobari et al. Point prevalence of burnout in Switzerland: a systematic review and meta-analysis. Swiss Med Wkly. 2022;152:w30229.
- Wendy Awa et al. Burnout prevention: A review of intervention programs. In: Patient Education and Counseling, 78, 2010, S. 184–190.
- Eckert, F. et al. «6th International Conference on Traditional Medicine, Ethnomedicine and Natural Therapies»,Paris: 20-22 June 2024, submitted.