19. Sept. 2025Wie die Therapie gelingen kann

Hypertonie: «Ein Viertel betroffen – nur ein Drittel gut eingestellt»

Etwa ein Viertel der Menschen in der Schweiz zwischen 30 und 80 Jahren haben eine Hypertonie. Drei Viertel davon werden diagnostiziert, die Hälfte wird behandelt, wirklich gut eingestellt sind nur rund ein Drittel. Wie Diagnostik und Therapie der Hypertonie gelingen können, erklärte Dr. Felix Burkhalter vom Kantonsspital Basel-Land, Liestal, am FomF Allgemeine Innere Medizin Update Refresher.

Blutdruck messen
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Bei der Definition der arteriellen Hypertonie scheiden sich die Geister: Während die amerikanischen Guidelines bereits bei einem Blutdruck von ≥130/80 mmHg von Hypertonie sprechen, tun dies die Europäischen Leitlinien erst bei einem Blutdruck von ≥140/90 mmHg.

Bei den Zielwerten ist man sich schon eher einig. In beiden Guidelines wird ein Blutdruck von weniger als 130/80 mmHg angestrebt. Die American Heart Association (AHA) pocht auch bei älteren Patienten auf diesen Zielwert, die European Society of Hypertension (ESH) ist bei betagten Menschen toleranter. «Wenn wir die Grenzwerte, wo die arterielle Hypertonie anfängt, von 140 zu 130 mmHg verschieben, dann hätten wir plötzlich 22 % mehr Menschen mit einer arteriellen Hypertonie bei uns in der Sprechstunde», rechnete Dr. Burkhalter, Leiter der Nephrologie am Kantonsspital Baselland – Standort Liestal, vor.

Da die Blutdruckmessung in der Praxis alles andere als banal ist (s. Kasten) und die Praxis-Blutdruckwerte meist «katastrophal schlecht» seien, so der Nephrologe, werden zur Diagnose der Hypertonie meist die Ergebnisse aus der Heim-Messung herangezogen. Laut den ESC-Guidelines entsprechen bei der Selbstmessung Werte von ≥ 135/85 mmHg einer arteriellen Hypertonie. Dasselbe gilt für die Tageswerte bei der 24-Stunden-Blutdruckmessung.

Wichtige Aspekte der Blutdruckmessung in der Apotheke

  • Wahl der richtigen Manschettengrösse
  • Bei Seitendifferenz den Arm mit dem höheren Blutdruck zum Messen verwenden
  • 30 Minuten vor der Messung kein Nikotin, kein Koffein, keine körperliche Aktivität
  • mindestens fünf Minuten Ruhe vor der Messung
  • zwischen den drei Messungen jeweils eine Minute Pause
  • während der Messungen sollte nicht gesprochen werden
  • die erste Messung wird verworfen, aus den beiden anderen Messungen wird der Durchschnitt errechnet

Entscheidende Unterschiede zwischen Mann und Frau

Bei Frauen bleibt der systolische Blutdruck lange niedrig und steigt ab etwa 40 Jahren an. Im Alter ist der Blutdruck sogar höher als bei Männern. Ausserdem sind die Einflussfaktoren (Übergewicht und Luftverschmutzung bei Frauen vs. Rauchen und Lärm bei Männern) sowie die Sekundärfolgen der arteriellen Hypertonie unterschiedlich.

Frauen entwickeln ein höheres linksventrikuläres Volumen, eine linksventrikuläre diastolische Dysfunktion und einen vergrösserten Vorhof. Die Folgen sind eine HFpEF und Vorhofflimmern. Männer entwickeln hingegen eher eine linksventrikuläre Dilatation, eine linksventrikuläre systolische Dysfunktion und eine kardiovaskuläre Kalzifikation. Sie sind eher von Herzinfarkt und HFrEF betroffen. Dazu kommt, dass das kardiovaskuläre Risiko – für KHK, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz und Schlaganfall – bei Frauen bereits bei einem niedrigeren Blutdruck ansteigt. Das gilt insbesondere für die Zeit nach der Menopause. «Daher bin ich überzeugt davon, dass wir in Zukunft unterschiedliche Zielwerte für Männer und Frauen haben müssen», so Burkhalter.

Was bringen Lifestyle-Änderungen?

Die nichtmedikamentösen Massnahmen zur Senkung des Blutdrucks setzen vor allem bei den Risikofaktoren an. Übergewicht, falsche Ernährung und Bewegungsmangel.
Mit der DASH-Diät (dietary approaches to stop hypertension) etwa lässt sich ein mittlerer Gewichtsverlust von 5 kg erzielen und gleichzeitig eine Reduktion des Blutdrucks um 4,44vmmHg systolisch und 3,57 mmHg diastolisch (1). Die Triumph-Studie (2) hat gezeigt, dass mit einer umfassenden Lifestyle-Änderung, die Information, Ernährungs- und Bewegungsprogramme beinhaltet, ein Gewichtsverlust von rund 7 kg und eine Blutdrucksenkung von 7 mmHg systolisch (24-Stunden-BD) zu erreichen ist.

Als besonders wirkungsvoll in Hinblick auf den Blutdruck hat sich die bariatrische Chirurgie erwiesen: Damit liess sich in einer Studie (3) der Blutdruck nach sechs Monaten um 17,4 mmHg systolisch und 13,8 mmHg diastolisch senken. Fünf Jahre nach der OP waren die Werte immer noch konstant niedriger. «Bariatrische Chirurgie ist extrem potent bei der Blutdrucksenkung», so Dr. Burkhalter.

Auch GLP1-Agonisten lassen die Kilos purzeln. Die Teilnehmer einer Studie (3), die wöchentlich Semaglutide bekamen, hatten nach einem Jahr im Schnitt rund 15 kg verloren. Gleichzeitig ging der Blutdruck um 7,5 mHg systolisch und 3,5 mmHg diastolisch runter. «Das bringt mehr als die Diät. Diät ist schon gut, aber sehr schwer durchzuhalten», gab der Experte zu bedenken.

Für eher «illusorisch» hält Dr. Burkhalter die Reduktion der täglichen Salzmenge, die notwendig ist, um den Blutdruck zu senken. In einer Cochrane-Analyse (4) führte eine mittlere Salzreduktion von 11,5 g auf 3,8 g/Tag zu einer Senkung des Blutdrucks um 5,51 mmHg systolisch und 2,88 mmHg diastolisch. Der Effekt war bei Teilnehmern schwarzer Hautfarbe etwas grösser. «Aber wer hält das schon das ganze Leben lang durch?» , fragte Dr. Burkhalter ins Publikum. Ein Hinweis am Rande: Bei Patienten, die einen hohen Salzkonsum haben, hilft die erhöhte Zufuhr von Kalium, um den Blutdruck zu senken (5).

Medikamenten wahl je nach Komorbiditäten

Reichen Lifestyle-Massnahmen nicht aus, kommen medikamentöse Therapien zum Einsatz. Meist beginnt man mit einer Monotherapie, die ihre Berechtigung allerdings nur im Hypertonie-Stadium I (140–159/90–99 mmHg) hat. Ansonsten empfiehlt es sich, sofort mit einer Kombinationstherapie zu starten.

Bei voller Ausdosierung lässt sich der Blutdruck mit einer Monotherapie im Schnitt um 13 mmHg systolisch senken, mit einer Kombinationstherapie um 20 mmHg, so Dr. Burkhalter. Gewählt wird die Therapie abhängig von den Komorbiditäten.

ACE-Hemmer sind bei praktisch allen Patienten einsetzbar. Das zweite Medikament wird auf die Begleiterkrankungen abgestimmt. Ein Schlaganfallpatient bekommt vorzugsweise einen Kalziumantagonisten dazu, bei Niereninsuffizienz wird gern ein Diuretikum verschrieben. Patienten mit Herzinsuffizienz brauchen meist mehrere Substanzklassen (Diuretika, Mineralkortikoide, SGLT-2-Inhibitoren). Zum Schluss macht Dr. Burkhalter auf einen weiteren Genderaspekt aufmerksam: «Ich als Nephrologe sage immer, Betablocker sind keine antihypertensiven Medikamente. Aber das gilt wahrscheinlich nicht für Frauen.» Sie scheinen mehr von einem Betablocker zu profitieren als Männer.