Steckt Covid-19 hinter der Anosmie?
Bei jedem zweiten Patienten mit Covid-19 ist die Geruchswahrnehmung beeinträchtigt – bis hin zur kompletten Anosmie. HNO-Ärzte erläutern, wann Sie Verdacht auf SARS-CoV-2 schöpfen sollten.
Auch in Corona-Zeiten empfiehlt es sich, bei Patienten mit Riechstörung zunächst abzuklären, ob weitere neurologische Symptome vorliegen. Gibt es z.B. Zeichen eines erhöhten Hirndrucks, kann das auf eine zerebrale Läsion hindeuten. Wichtig ist zudem ein Check auf häufige nasale Erkrankungen, die den Geruchssinn via Blockade oder Kongestion trüben.
Der mit SARS-CoV-2 verbundene Riechverlust beginnt im Allgemeinen plötzlich und verläuft häufig schwer, ist aber meist reversibel. Bei neun von zehn Patienten bessert sich das Riechvermögen innerhalb von vier Wochen, schreibt das Team um die HNO-Ärztin Dr. Abigail Walker vom University Hospital Lewisham in London. Die olfaktorische Störung beruht auf einer isolierten sensorineuralen Schädigung durch das Virus: Anders als bei einer Obstruktion (Rhinosinusitis etc.) erreichen die Geruchsstoffe dabei ungehindert das Riechepithel, können aber nicht richtig wahrgenommen werden.
Diese Symptome können die Riechstörung begleiten | |
Symptome | mögliche Ursache |
beidseitige Nasenblockade mit wechselnder Dominanz | allergisch |
anhaltende einseitige Blockade | strukturell (z.B. Trauma) |
anhaltende beidseitige Blockade | Rhinosinusitis |
fauliger Geruch in der Nase | Kakosmie (Fehlriechen) |
beim Schneuzen Blutspuren im Mukus | Epistaxis |
Bluten am blockierten Nasenloch | Krebs |
Knoten bzw. Schwellung am Hals oder Nacken | Krebs |
Walker A et al. BMJ 2020; 370: m2808.
Gezielt nach anderen Symptomen fragen
Betroffene klagen oft zusätzlich über ein verringertes Geschmacksempfinden, das aber wahrscheinlich olfaktorisch bedingt ist. Zur Abgrenzung hilft die Frage, ob der Patient noch salzig, süss und bitter unterscheiden kann. Denn diese gustatorischen Qualitäten werden von der Zunge registriert.
Bei Personen mit akut aufgetretener Riechstörung empfehlen die Autoren, gezielt nach anderen Symptomen einer Covid-19-Erkrankung (Husten, Fieber etc.) zu suchen. Die meisten geben auf Nachfrage weitere Beschwerden an. Bei immerhin 16 % ist die Anosmie aber das einzige Zeichen der Infektion.
Die Autoren empfehlen, Patienten mit nicht anderweitig erklärbarer Reduktion des Geruchssinns auf SARS-CoV-2 zu testen. In den ersten sieben bis zehn Tagen der Erkrankung erfolgt der Nachweis mittels Polymerasekettenreaktion, danach serologisch. Bis das Ergebnis der PCR vorliegt, sollte sich der Betroffene in häusliche Quarantäne begeben.
Die Therapie der Anosmie mit Glukokortikoiden wird kontrovers diskutiert. Die topische Anwendung als Nasenspray oder -tropfen (z.B. Betamethason, Fluticason) ist zu erwägen, wenn die Hyp- oder Anosmie länger als zwei Wochen anhält. Vom Einsatz oraler Steroide in den ersten 14 Tagen raten die HNO-Spezialisten ab. Sie könnten die Viruselimination verzögern und sind zudem wegen der hohen Spontanheilungsrate nicht erforderlich. Bei einem länger persistierenden Verlust des Riechvermögens dürfen auch Covid-19-Betroffene, deren Diagnose länger als zwei Wochen zurückliegt, kurzfristig ein orales Steroid erhalten. Allerdings sollten die damit verbundenen Risiken (Blutzuckeranstieg, Psychosen) mit den Patienten besprochen werden.
Manche Patienten profitieren von einem Riechtraining. Das regelmässige Erschnuppern ätherischer Öle und anderer stark riechender Substanzen kann die Erholung des olfaktorischen Systems fördern.
Personen mit An- oder Hyposmie sollten bei Speisen und Getränken auf das Verfallsdatum achten (Verderb) und die Funktion der Rauchmelder in der Wohnung sicherstellen. Die meisten Patienten mit Covid-19-bedingtem Geruchsverlust erfordern keine Überweisung an den Facharzt. Eine Überweisung zum Spezialisten empfehlen die Autoren erst, wenn die Störung länger als drei Monate anhält.
Walker A et al. BMJ 2020; 370: m2808