30. Aug. 2021Hilfe bei funktioneller Obstipation

Oft braucht es eine Drei- oder Vierfachkombination

Wann liegt eine funktionelle Verstopfung vor, wann ein Reizdarm? Und welchen Stellenwert haben die neueren Laxativa? Antworten gab Dr. Claudia Krieger, Oberärztin an der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie am Kantonspital St. Gallen, in einem Vortrag an den Hausarzt-Fortbildungstagen des Forums für medizinische Fortbildung.

Frau, die Papierrolle hält und an Durchfall in der Toilette leidet.
iStock/Jay_Zynism

Nach den Rome-IV-Kriterien geht eine Obstipation mit starkem Pressen, hartem Stuhl, inkompletter Entleerung, subjektiver Obstruktion, digitaler Manöver oder seltenen Stuhlgängen einher. Für die Diagnose müssen zwei dieser Kriterien in den letzten drei Monaten bei mehr als 25 % der Stuhlentleerungen aufgetreten sein. Deutlich einfacher definiert die Europäische Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (ESNM): Sie beschreibt Verstopfung als «schwierige, unbefriedigende oder seltene Defäkation».

«Unterschieden wird zwischen den drei Entitäten funktionelle Obstipation, Evakuationsstörung und Slow-Transit-Obstipation», erklärte Dr. Krieger. Eine funktionelle Verstopfung liegt vor, wenn Patienten nur obstipiert sind. Kommt eine Schmerzkomponente dazu, handelt es sich um ein obstipationsassoziiertes Reizdarm-Syndrom. Neu klassifiziert wird zudem die Opioid-induzierte Obstipation.

Progesteron vermindert propulsive Kontraktion

In jüngeren Jahren sind die Frauen fast doppelt so häufig verstopft wie die Männer. «Das hängt mit dem Progesteron, das in der zweiten Zyklushälfte aktiv ist, zusammen», so die Referentin. Denn das Gelbkörperhormon wirkt auch muskelrelaxierend, was zu einer verminderten propulsiven Kontraktion führt. Mit dem Alter steigt die Prävalenz tendenziell an, die Geschlechterunterschiede werden geringer.

Die Diagnose funktionelle Verstopfung kann gemäss der ESNM allein aufgrund der Klinik gestellt werden. Im Fokus stehen Stuhlfrequenz und -qualität, Ernährungsgewohnheiten und Trinkverhalten. «Eine übermässige Flüssigkeitszufuhr hilft meistens nicht, um die Verstopfung zu lösen», so die Referentin. Ältere Leute, die kaum Durst haben, sollten aber animiert werden, täglich 1–1,5 l zu trinken.

Auch viele Medikamente können Verstopfung verursachen. Dazu gehören Analgetika wie Opiate und NSAR, Anticholinergika aus dem antipsychotischen und antidepressiven Formenkreis, Antihypertensiva sowie Antazida und Eisenpräparate. Für die klinische Beurteilung empfahl Dr. Krieger, auch eine digital-rektale Untersuchung durchzuführen. Sie hat eine sehr gute Sensitivität. Bei älteren Patienten mit veränderten Stuhlgewohnheiten riet sie dazu, aktiv ein Kolonkarzinom zu suchen, sowie – um metabolische Ursachen einer Obstipation auszuschliessen – einmal Elektrolyte, Glukose und das TSH zu bestimmen. Bei Verdacht auf eine bestimmte Pathologie sind weitere Abklärungen indiziert.

Langzeittherapie ist unbedenklich

Die Behandlung der funktionellen Obstipation beinhaltet Allgemeinmassnahmen (ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Bewegung, Ernährung) und die Zufuhr von Nahrungsfasern (Sterculia-Gummi-Präparate, Flohsamenschalen, Weizenkleie). «Die meisten Patienten brauchen zusätzlich noch Präparate mit Macrogol, Bisacodyl oder Natriumpicosulfat oder in zweiter Wahl auch Zuckerstoffe wie Lactulose», sagte die Expertin. Bei hartnäckiger Obstipation kann sogar die zusätzliche Einnahme von Magnesium, Phenolphthalein-Analoga oder Picosulfat notwendig sein. «Mit einer Drei- oder Vierfach-Kombination kann den meisten Patienten geholfen werden», so die Referentin. Wenn nicht, stehen noch Prucaloprid (ein Serotonin(5-HT4)-Rezeptoragonist) und Linaclotid (ein Guanylatcyclase-C-Agonist) zur Verfügung. «Diese neueren Laxanzien erweitern die Therapieoptionen. Sie sind teurer, wirken gleich gut wie die Standardmedikamente und helfen auch bei einem mit Verstopfung assoziierten Reizdarmsyndrom», so die Expertin.

Eine Langzeittherapie mit Laxativa ist unbedenklich. Dr. Krieger: «Es gibt keine Evidenz, dass die Dauertherapie Nerven und Muskulatur des Darms schädigt oder das Risiko für Kolonkarzinome erhöht.» Auch ist es unwahrscheinlich, dass es zu Wasser- und Elektrolytverlusten oder einer Abhängigkeit kommt. Einige Patienten berichten jedoch über einen Gewöhnungseffekt. «Bei einer schweren Obstipation kann es deshalb sinnvoll sein, im Turnus immer wieder einmal andere Laxativa einzusetzen», so die Expertin.