1. März 2021Der Apotheker im ethischen Dilemma

Ethik in der Apotheke – eine Heraus­forderung für Kunden und Apotheker

Der Beruf des Apothekers in der Offizin ist vielfältig, komplex und – gefährlich. Gefährlich deshalb, weil der Apotheker bei seiner Berufsausübung andere Menschen aber auch sich selbst schädigen kann. Ständig ist er herausgefordert und auch verpflichtet, oft in sehr kurzer Zeit und manchmal stellvertretend für andere Menschen, gut entscheiden und gut handeln zu müssen. Immer wieder steht dabei seine Sorgfaltsplicht in Konflikt mit unterschiedlichen Wertvorstellungen der Kunden, aber auch mit eigenen beispielsweise wirtschaftlichen Interessen. Das ethische Dilemma ist vorprogrammiert.

Apotheker demonstriert einen Inhalator zu Senior
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Apotheker sind gegenüber ihren Patienten und Kunden zur bestmöglichen Krankheits- und Gesundheitsversorgung verpflichtet. Sie stützen sich dazu auf naturwissenschaftlich-pharmazeutische Fakten und handeln stets nach bestem Wissen und Gewissen. Hierbei orientieren sie sich am Verhaltenskodex des Berufsverbands, welcher die berufsethischen Verpflichtungen zusammenfasst. Zusätzlich gelten gesetzliche Vorgaben, wie beispielsweise das Heilmittel- oder Betäubungsmittelgesetz, welche die Leitplanken für den Alltag in der Offizin vorgeben. In diesem Rahmen trägt der Apotheker auch eine soziale Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt und ist gehalten, z. B. Sucht und Missbrauch von Arzneimitteln zu verhindern. Hegt er Verdacht auf Gefährdung von Mensch und Tier, unterliegt er zudem einer Meldepflicht.

Kundenwunsch vs. Sorgfaltspflicht

Demgegenüber steht der Kunde mit seinen individuellen Bedürfnissen und Wertvorstellungen. Wie kann dieser jederzeit fachgerecht beraten werden? Zum Glück ist dies in der Regel unproblematisch. Was aber, wenn der Kundenwunsch in Konflikt steht mit der Sorgfaltspflicht des Apothekers? Darf, soll oder muss dieser trotzdem erfüllt werden?

Jeder Mensch hat Anspruch auf Selbstbestimmung. Diese Willensfreiheit ist Ausdruck von Menschenwürde und verankert als Menschenrecht. Der Apotheker ist somit in jedem Fall dazu verpflichtet, den Kunden unvoreingenommen, empathisch und ergebnisoffen zu beraten. Dabei kann es zum ethischen Dilemma kommen. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass, was immer man auch tut, man nicht allen Werten und Normen gerecht werden kann.

Gemeinsam Lösungen finden

Der beste Umgang mit einem ethischen Dilemma ist, gemeinsam mit dem Kunden im Gespräch eine Lösung zu erarbeiten. Dieses gewichtet die Argumente aller Beteiligten, schätzt die Verhältnismässigkeit der Massnahmen ab und prüft die Konsequenzen der Entscheidungsmöglichkeiten. Hierbei unterstützt der Ethikleitfaden des schweizerischen Apothekerverbandes pharmaSuisse, welcher Schritt für Schritt hilft, komplexe Situationen zu entwirren. Wichtig ist auch, dass die Räumlichkeiten der Apotheke die für solche Gespräche nötige Privatsphäre erlauben. Der Wunsch der Kundschaft nach Diskretion in der Apotheke darf nicht unterschätzt werden.

Fallbeispiel

Die 12-jährige Frau Meier kommt unsicher in die Apotheke und fragt die Apothekerin leise nach der «Pille danach». Der ungeschützte einvernehmliche Geschlechtsverkehr mit ihrem wenig älteren Freund am Vorabend könnte zu einer Schwangerschaft führen, welche für Frau Meier einschneidende Konsequenzen hätte. Zudem stammt sie aus einer religiös konservativen Familie, welche für diese Situation möglicherweise wenig Verständnis hätte. Glücklicherweise ist Frau Meier gesund und das junge Alter ist keine Kontraindikation für die «Pille danach».

Aus medizinischer Sicht ist die Behandlung mit der «Pille danach» somit angezeigt. Auch gilt es, schnell zu handeln, da die Wirksamkeit der «Pille danach» mit verstreichen der Zeit schnell abnimmt. Mit 12 Jahren ist Frau Meier aber noch unmündig. Kann sie ihre Situation ausreichend einschätzen? Oder müssen die Eltern in den Entscheid mit einbezogen werden, obwohl Frau Meier dies aufgrund der unterschiedlichen Wertvorstellungen explizit nicht wünscht? Sollen ein Arzt oder eine Beratungsstelle involviert und so wertvolle Zeit vergeben und der Wirkungsverlust der «Pille danach» riskiert werden?

Glücklicherweise gestaltet sich nicht jedes Kundengespräch so komplex. Dennoch nimmt ethisches Denken und Handeln in der Apotheke eine wichtige Stellung ein. Im Spannungsfeld von Sorgfaltspflicht, gesetzlichen Vorgaben, unterschiedlichen Wertvorstellungen und Interessen gilt es tagtäglich richtig zu entscheiden und so den Bedürfnissen von allen Beteiligten stets gerecht zu werden.

Weiterführende Literatur:

  • pharmActuel Themenheft Ethik, Februar 2020 (erhältlich unter www.pharmactuel.ch)
  • Ethikleitfaden Beratungsleitfaden von ­pharmaSuisse Januar 2019